Dienstag, 6. August 2013

Chris Norris - der Fotograf und das Garagenloft

Jedesmal, wenn ich diese Geschichte Freunden erzähle, dann weiß ich nicht genau, wo ich starten soll. Das ist sicherlich nicht ungewöhnlich, wenn ich bedenke, mit was für einer Selbstverständlichkeit dieser Mann Dämlichkeiten von sich gab.

Alles fing vor einem Jahr sehr harmlos ein. Ein weitläufiger Bekannter aus Trier war auf dem Heimweg verschwunden, Freunde und Familie waren in großer Sorge. Eine Suchaktion wurde ins Leben gerufen. 

Ich hatte die Sache verfolgt und als ich hörte, dass der Vermisste eigentlich einen Trip nach Berlin geplant hatte, bot ich meine Hilfe an. So kam Chris Norris in meine Liste bei Facebook. Zugegeben, Norris war nicht sein Nachname, aber mein bester Freund ließ sich nicht davon abbringen ihn so zu nennen, da sein Selbstbild und sein daraus resultierendes Benehmen über allem erhaben zu sein schienen. 

Als ich endlich meinen Beziehungsstatus geändert hatte, ging recht schnell eine Abfolge von Emails los. Ich hatte dem keine große Bedeutung beigemessen. Dann rief er über Facebook an. Ja, sowas geht. Anfangs fand ich die Idee von Facebook Super. Rückblickend wäre mir ohne viel erspart geblieben.

Chris hatte einen Hang zur Dramatik und Geduld schien nicht seine Stärke. Er war groß, laut, dominant und von allem viel. Zu viel.

Wir telefonierten per FaceTime und seitdem meide ich genau das. Es ist einfach nicht gut. Wir telefonierten viel. Redeten über alles und nichts. Chris mochte mich sehr und ich mochte die Vorstellung, dass mich irgendjemand mochte. Die Kombination war zum Scheitern verurteilt.

Chris beschloss, mich in Berlin zu besuchen. Natürlich freute ich mich, aber die Idee, jemanden in meiner Wohnung zu haben, meinem eigenen ganz persönlichen Schutzmantel, bereitete mir Unbehagen. 

Am Telefon erklärte mir der - übrigens sieben Jahre jüngere - Chris Norris gerne die Welt. Außerdem die Welt von Beziehungen. Bedauerlicherweise hatte er noch nie eine Beziehung gehabt, niemand hätte es lange mit ihm ausgehalten. Das gab er zwar kleinlaut zu aber auch mit viel Unverständnis. Dabei sei er ja sowas wie ein Hipster (er hatte eine Kamera), total stylisch noch dazu (blieb mir verborgen) und da er Ärztesohn war, hätte er medizinisches Wissen quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Direkt aus der Mutter heraus. Ärztekinder sind ja praktisch selbst Ärzte. Wenn er wolle, könne er sich auch selbst operieren. Diagnostizieren sowieso. An Selbstbewusstsein mangelte es ihm wahrlich nicht. Sein Dachschaden blieb ihm verborgen.

Er gab mir - selbst stark übergewichtig und mit Anfang zwanzig zierten ihn bereits Schwangerschaftsstreifen - Tipps, damit ich mein Gewicht halten könne. Und er wollte das Versprechen, dass ich nicht weiter zunehme. Grundsätzlich solle ich es unterlassen, beim Telefonieren Saftschorle zu trinken. Nun ja. Manchmal übersehe ich erste Zeichen der Idiotie. Dabei hab ich das nicht mal übersehen. Ich habe es ignoriert.

Als ich ihn von Busbahnhof abholte, war mir auf den ersten Blick klar, dass ich eigentlich umdrehen und wegrennen wollte. Chris sah das sehr anders.Zur Begrüßung biss er mir den Kopf ab. Es war Angst einflößend. 

Zuhause angekommen - nachdem er dem Taxifahrer unter großem hallo 20 Cent Trinkgeld gegeben hatte - warf er mich aufs Bett und drehte mich auf links. Sicherlich hätte ich von Beginn an nein sagen können. Natürlich hätte ich mich wehren können, nicht mitmachen müssen. Ich hätte ihm eine Abfuhr geben müssen und hätte meine Ruhe gehabt.
Doch aus irgendeinem Grund tat ich das nicht. War es das Gefühl, endlich jemanden zu haben, der mich gut fand? War es Höflichkeit, weil er so weit gefahren war? Oder Trotz? Oder war es diese tiefe Einsamkeit, die sich seit der Trennung über mich gelegt hatte, wie ein dunkler Schatten? Wahrscheinlich war es alles zusammen.

Nach einer Sexverletzung, der Erkenntnis, dass er sich abends nicht die Zähne putzte, der Betrachtung der alten und ausgeleierten Boxershorts und seinem Angebot, immer wenn ich keinen Sex haben wollen würde, könnte ich ihm ja einen runterholen, setzte ich ihn am nächsten Tag vor die Tür. Es war zu viel.

Der Panikanfall kam sofort und ich saß einfach nur noch in meiner Wohnung, riss die Bettwäsche herunter und duschte ausgiebig. Es widerte mich an. Ich selbst widerte mich an.
Er war bei einem Freund in Neukölln untergekommen und rief die ganze Zeit an. Auch nachts. Ich machte mein Handy aus und wollte sowas wie sterben, oder versinken oder einfach alles rückgängig machen.

Zwei Tage später ließ ich mich zu einem Spaziergang überreden. Im Regen liefen wir über das Tempelhofer Feld und er gestand mir seine Liebe. Ich sei seine bessere Hälfte und er meine - letzteres empfand ich schlichtweg als unter der Gürtellinie. So etwas gemeines hatte noch nie jemand gesagt!

Dann fuhr er wieder. Endlich! Juhu! Ruhe! Von wegen! Kaum betrat er Daheim die Wohnung änderte er sein Bild bei Facebook und dann sein Profil. Gemeinsame Bekannte aus ganz Deutschland schrieben mir Emails und wollten alles wissen. 

Bis dahin war Facebook mein Freund gewesen. Meine Quelle an Fröhlichkeit und meine Tür zu anderen, in Zeiten, da der Liebeskummer mich fest im Griff hatte. Jetzt war Facebook ein Verräter. Wir waren keine Freunde! Facebook ließ mich nicht entkommen.

Also tat ich, was ich niemals hätte tun sollen. Ich stimmte allem zu. Eine gewisse Gleichgültigkeit hatte mich fest umschlossen und der Abstand von mehreren hunderten Kilometern gab mir Zuversicht. 

Also wieder Telefonate bei FaceTime. Seine Witze wurden anzüglicher und ich wurde genervter. Ganz weit oben der Spruch: das Leben ist kein Ponyhof, aber geritten wird trotzdem.
Haha! Mensch! Ein Knaller! Nein danke. Lieber nicht. 

Ich musste ihn loswerden, aber ich wusste nicht wie. Ich schämte mich meiner eigenen Rückgratloskeit. 

Die Gespräche mit meiner Therapeutin liefen immer gleich. Ich solle reinen Tisch machen, dann würde es mir besser gehen. Ich solle überlegen, wie ich Nähe dann aushalten könne und was ich von einem Mann genau erwartete. Ich war ratlos. Natürlich wusste ich, was ich wollte. Ich wusste genau, was ich an Männern mochte und welches Verhalten ich brauchte um mich geborgen zu fühlen. 

Wie ich es auch drehte oder wendete, Chris stieß mich einfach ab. Bezeichnend war sein Vortrag, er wolle als Unternehmensberater arbeiten, aber immer gegen fünf Zuhause bei den Kindern sein. Viel Geld, wenig Arbeit. Es war schön, wie dieser Mann die Welt verstanden hatte. Er wurde nicht müde, sich selbst als sehr reif zu bezeichnen. Es nahm mich Wunder...

Nun - und das war kurz vor Schluss, aber soll unbedingt noch Erwähnung finden - brauchte Chris Norris, der Hipster von Muttermilch an, eine neue Bleibe..

Als er mir den link schickte, sah ich sowas wie eine ausgebaute Garage mit Fensterfront. Er sagte, es sei sowas wie ein Loft. Und in das Badezimmer (groß die eine Briefmarke) wolle er ein Fotolabor einbauen. Das schönste war seine Idee, den Platz vor der Fensterfront als Terrasse zu nutzen. Ich besah die Bilder. Knapp drei Meter entfernt, direkt gegenüber war eine Garage. Seine Terrasse war schlichtweg die Auffahrt des Nachbarn. Ich machte ihn darauf aufmerksam und wurde ausgelacht. 
Dann die Preisfrage: wo ist die Küche?
Es hab keine. Nur eine kleine Kochniesche, knapp zwei Meter und seitlich von oben bis unten mit dem einzigen Heizkörper des Zimmers. Als ich es ihm erklärte, wurde er kurz still und sagte dann, kein Problem, Küche in L-Form und er hätte ja Geschirrspüler, Kühlschrank, Herd, Mikrowelle.. 
Spätestens an dieser stelle hätte ich eine ausgeprägte Schwachsinnigkeit feststellen müssen. Als ich ihm sagte, dass sei sehr wenig Platz, meinte er nur lapidar, Frauen hätten sowieso keine Idee von Längen. 

Und dann explodierte ich. Ich machte ihn so richtig rund. Die ganze Wut der letzten Zeit entlud sich und danach fühlte ich mich nicht einmal schlecht. Ganz im Gegenteil. Chris sagte, das hätte ihn nun alles total geil gemacht und er würde nun gerne ins Auto steigen und Versöhnungssex haben. Ich verkniff mir den Spruch, da könne er bei seiner Mutter Anfragen und beendete das Gespräch.

Die Geschichte endete dann recht schnell. Auf einem Konzert sah ich einen Mann, der es geschafft hatte, mich total anzuknipsen. Es hieß nun nur: loswerden! Schnell! Einzelheiten zu dem Mann, der mich zur Vernunft brachte folgen.. Aber in einer anderen Geschichte. Denn dieser Mann hat einen ganz eigenen Post verdient.

Also schrieb ich Chris eine Mail und sagte, ich sei ja eine sehr schwierige Persönlichkeit und bräuchte Ruhe und keine Beziehung. Sofort änderte ich Bild und Status und fühlte mich endlich wieder, wie ich selbst. 

Zwei Tage später antwortete Chris. Er würde nun HOCHOFFIZIELL Schluss machen. Aber er biete mir Freundschaft an. 

Meine Freundinnen und ich lachten sehr. Meine Schwester sagte nur: der soll mal schön seine Küche ausmessen gehen. 

Und weg war er.


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