Freitag, 21. Februar 2014

Jens - Der Nerd mit den schönen Haaren

Um es mal klar zu stellen: ich mag Brillen. Männer brauchen Brillen, sonst sind sie nicht richtig angezogen. Große Brillen. Schwarzes Gestell. Hervorragend! Immer her damit.

Ich habe auch eine Brille. Leider finde ich die nicht mehr - der Grund ist nicht, weil ich ohne nicht sehen kann, sondern weil ich die so selten brauchte, dass sie in meiner Wohnung einfach abhanden kam. Kann passieren.

Jens schrieb mir bei Finya, was er sich unter den von mir genannten kurzen Beinen vorstellen könne. Ich schrieb, dass meine kurzen Beine eben kurz wären und wo da fragen offen sind. Er lachte und kam mir wie ein Freak vor. 

Aber er hatte nicht nur eine schöne Brille, er hatte auch schöne Haare. Nach oben stehend, ein wenig zerzaust. Biologe in der Forschung stand in seinem Profil. Passt ja, dachte ich.

Dann sagte er, er habe Ballettschuhe auf der Straße gefunden, ob ich ihm was tanzen würde.

Deine Frage ist angesichts meiner kurzen Beine und des dickend Hinterns geradezu kafkaesk.

Oh! Eine gebildete Frau! Wollen wir heiraten?

Er war ein Freak, so viel stand fest. Trotzdem hätte ich sofort ja gesagt. Er gefiel mir in seiner Verschrobenheit von Tag zu Tag mehr. Wir tauschten Nummern und Bilder und verabredeten uns. Ich war aufgeregt. Richtig aufgeregt.

Doch weil bei mir nie alles glatt läuft und ich den Titel der Queen of Fettnapf verteidigen muss - vor allem gegen meine vorlaute Schwester mit leichter Filterstörung - gab es vor dem treffen noch das große Desaster. 

Ich ging zum Augenbrauenzupfen. Es tat wirklich Not. Ich fühlte mich schon wie Frida Kahlo! Und dann passierte es. Alles ging schief. Und zwar wirklich schief. Freundlich gesagt wäre: auf links sah ich sehr erstaunt aus. Drastisch ausgedrückt: ich sah aus wie nach einem Schlaganfall. Verdammte scheisse! Die eine Augenbraue rund, die andere gerade und meine Mutter sagte nur:

Schau nicht so verdutzt.

Ich sagte ihm, da wäre ein kleiner Notfall in meinem Gesicht und das treffen hätte vielleicht noch zeit.. So zwei Wochen?! Er wollte wissen was los sei und ich schrieb:

Mir wurde ein Schlaganfall gezupft.

Oh. Schlaganfall. Schwieriges Thema. Gehe nun schlafen. Gute Nacht.

Rumms. Da war es. Die absolute Peinlichkeit. Das unsagbare Fettnäpfchen. Der Supergau .. 

Ich versuchte mich in Schadensbegrenzung und entschuldigte mich. Er lachte, aber mein Gefühl der Scham ging nicht weg. Ich glühte. 

Dann kam der Tag der Verabredung. Bis eine Minute vor dem Date schrieben wir uns. Als er aus der Bahn stieg lächelte er mich an und umarmte mich. Er war fast einsneunzig und ich kam mir wie ein Standgebläse vor. 

In der Kneipe angekommen redeten wir und lachten. Eigentlich alle Fachrichtungen außer Biologe und wenige Ausnahme seien der Universität nicht würdig. Er hatte etwas abschätziges, trotzdem mochte ich ihm. Lehramt fand er an der Uni lächerlich. Jura und Medizin sowieso. Ärzte wären Handwerker, Jura brauche keine Forschung. Alles weg aus der Uni. Ich hörte ihm zu und fand ihn einfach nur schön. Die Haare. Die Brille, auf der innen Modenschau rot stand. Seine Schultern. Irgendwie alles.

Ich war dir nicht böse wegen des Spruches gestern. Es ist nur.. Ich hatte selbst einen Schlaganfall vor drei Jahren.

Es war ja nicht so, dass ich seine Augenbrauen auf dem Bild nicht gesehen hätte, aber ich dachte, der würde die extra hochziehen. War nicht so. Augenblicklich wurde mein Gesicht dunkelrot. Ich wollte am liebsten schnell alle Getränke bezahlen und wegrennen. Seine Getränke hätte ich sogar gleich mitgezahlt. Irgendwie hätte ich alles getan, um aus dieser Situation mit dem Prince of Stroke herauszukommen. 

Naja. Ich bin auch nicht gesund! Ich nehme jeden Tag Tabletten. Bild dir mal auf deinen Schlaganfall nichts ein!

Jens lachte und er lachte erleichtert. Dann sagte er, die anderen hätten die Macke und nicht wir. Recht hatte er. Niemals hatte ich so mit einer chronischen Depression Punkten können. Er war begeistert. 

Aber ich merkte auch, dass alles nicht spurlos an ihm vorüber gegangen war. Er suchte immer wieder nach Wörtern, nach Dingen, die er erzählen wollte, aber die ihm nicht einfielen. Er sagte, er sei nicht vergesslich. Doch genau das war Jens. Er war vergesslich. Sehr sogar. Ich fühlte mich an mich selbst erinnert. An mein Fischen im Dunkeln, als ich so krank war und dieses ewige Suchen nach dem richtigen Ausdruck. 

Nach drei Stunden und ein wenig mehr ging der Abend zuende. Am nächsten Tag musste er um sieben im Zug nach keine-Ahnung-wo sitzen und wir gingen zur Bahn.

Am Bahnsteig hatten wir fünf Minuten. Er wollte wissen wo ich wohne und zeigte mir dann, wo er wohnte. Die bevorstehende Verabschiedung fühlte sich komisch an. Ich war unsicher und fühlte mich irgendwie außerhalb meines Körpers. Wie war dieser Abend eigentlich gewesen? Lustig war der Abend. Unerwartet auch. 

Dann war es soweit. Er breitete die Arme aus und drückte mich fest an sich. Oh, dachte ich nur. Das alles fühlte sich gut an. 

Er schaute mir hinterher. 

Zuhause hatte ich eine stunde später eine Nachricht von ihm.

Gute Nacht!

Oh. Ich war aufgeregt. Mein Herz machte einen Sprung. Ich antwortete.

Schlaf gut!

Und dann hörte ich nie wieder von ihm. Nie wieder. Nichts. Keinen Ton. Ich schaute immer, wann er online war. Jedesmal bekam ich einen kleinen Stich.

Ich hätte mir gewünscht, dass er einfach gar nichts mehr geschrieben hätte. Auch kein gute Nacht. Denn so hatte ich für eine Nacht Hoffnung auf etwas.

Ich grübelte. Fragte Freunde um Rat. Ich war ratlos. Auch wenn es ja klar war.. Er stand einfach nicht auf mich..

Marcus überlegte und sagte dann:

Weißt du, manchmal kommen einem Ideen vom Abend vorher am nächsten morgen total blöd vor.

Wahrscheinlich wird es das gewesen sein. Schade ist es trotzdem. Er war irgendwie anders. Genau wie ich.








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