Mittwoch, 7. Januar 2015

Jeden Tag ein Stück

In meinem Körper breitet sich ein sonderbares Gefühl aus. Noch kann ich es nicht einordnen.

Es ist, als wäre ich im freien Fall. Aber es macht mir keine Angst mehr. Es ist mehr ein Schweben.

Ich habe losgelassen. Allmählich. Jeden Tag ein Stück.

Wenn ich mich an die Tage nach Heiligabend erinnere, dann erschrecke ich manchmal noch kurz. Aber es schreit nicht mehr in mir. Langsam kommen diese ganzen anderen Gedanken, die ich vorher nicht zulassen konnte. Ich höre von Tag zu Tag mehr auf nach Gründen zu suchen. 

Und so sitze ich nun vor meiner Therapeutin, die mich ernst ansieht. Ich versuche alles zu erzählen, mich dabei nochmal zu ordnen, selbst einen guten Überblick zu bekommen. Doch manchmal fühlt es sich an, als könne ich nach bestimmten Fäden nicht greifen.

Das ist es wohl, was es schwer macht, dass wir den anderen nie vollends begreifen werden. Sagt sie nachdenklich. Auch wenn wir einen Menschen glauben zu kennen, es bleibt immer das Risiko.

Ich nicke und überlege. Mir wird klar, was ich vorher ahnte - wir wussten es vorher. Beide. Und trotzdem.

Also was werden Sie nun tun?

Tun? Hmm. Naja. Ich kann nichts tun. Ich habe mich geirrt. Es ist einfach so. Es wird weitergehen. 

Meine Therapeutin lehnt sich zurück. In Zeitlupe. Sie kritzelt etwas in ihr Buch. Ich fühle mich mehr und mehr unsicher. 

Glauben Sie, er weiß, wie es Ihnen damit geht? 

Würde das einen Unterschied machen? 

Ich schaue kurz aus dem Fenster. Drei Wochen ist das alles her. Vor drei Wochen schien es ein Anfang und kein Ende zu sein. 

Sie schaut mich lange an. Wir wissen beide, dass ich eine ziemliche Macke habe. Wir wissen beide, dass ich mir meistens Männer aussuche, die auch eine Macke haben. Aber wir wissen beide auch, dass es dieses mal anders ist. Weil ich gar nicht so richtig merkte, wie das alles Fahrt aufnahm.

Wissen Sie, Sie erinnern mich an meine mittlere Tochter. Nach außen scheinen Sie sehr stark. Und oft ziehen Sie diese Kontakabbrüche konsequent durch. Doch manchmal hilft es dem anderen, wenn Sie sagen, wenn Sie gekränkt sind. Genau in dem Moment. 

Sie hat recht. Sie weiß, dass ich das weiß. Und zumindest hätte es die jetzige Situation erleichtert. Wenn ich deutlicher Kränkung gezeigt hätte. Müdigkeit. Schwäche. Wünsche geäußert hätte. Aber teilweise war mir das gar nicht sofort klar. Und ansatzweise hatte ich das schon gemacht.

Wenn Sie vor drei Monaten gewusst hätten, was Sie jetzt wissen, was hätten Sie anders gemacht?

Oh Gott. So eine Frage wieder. Hab ich mir ja selbst mehrmals gestellt die letzten Tage. Eigentlich müsste ich eine Antwort haben. Vielleicht habe ich die ja. 

Nichts. Ich hätte es genauso gemacht. Denn ich habe nichts falsches getan. Ich habe jemanden ln mein Leben gelassen. Abgesehen davon, dass es kein glückliches Ende nahm. Auch wenn ich traurig war.. Ich überlege kurz .. Er war eine Bereicherung. 

Sie lächelt leise. Ich kenne dieses lächeln bereits. Ich habe einen Fortschritt gemacht. Nach so vielen Monaten. Nach diesen furchtbaren Monaten. 

Glauben Sie, er denkt da genauso?

Nein. Vielleicht ist da ein weiterer Unterschied. Er hätte es anders gemacht. 

Nach den fünfzig Minuten fühle ich mich unglaublich müde. Hat das jetzt geholfen? Hat es alles schlimmer gemacht? Weiß ich mehr? Ich krame in meinen Gedanken und finde erstmal nur Leere. Vielleicht weil alles gesagt ist. 







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