Freitag, 12. Dezember 2014

Accra - Hier war ich ja noch nie!

Um mal vorweg zu greifen dieses "hier war ich ja noch nie" bezieht sich auf Lichtenberg, was aber viel später auftaucht.. Ok, in Accra war ich auch nie, aber als Berlinerin liegt Lichtenberg doch erstmal näher.

Diesen Mann - ich werde ihm im folgenden Accra nennen - hatte ich von einer bei entdeckten Dating-Seite.

Geh dahin, dort ist weniger Pöbel.

So oder so ungefähr hatte es der beste Freund meiner Schwester gesagt, als wir im Herbst in einer Charlottenburger Kneipe saßen und tranken. Wahrscheinlich Kaffee - an dieser Stelle lasse ich mich auch gerne korrigieren.

Aber das alles führt zu weit. Tatsache ist, dass Rico meinte, da sei die beste Ausbeute und ich solle mal schauen. Außerdem viele, viele fragen zu beantworten, das sei aufschlussreicher.

Mein neuer Account hatte den gleichen Namen, wie auf den anderen Seiten - aus Prinzip heisse ich überall gleich. Bilder waren auch dieselben, es konnte losgehen.

Ich schrieb Accra an, denn er hatte die Frage, ob ein Atomkrieg eine spannende Sache wäre, mit "ja" beantwortet. Da fragte ich nach.

Drei Tage Email Geschreibe später, liefen wir durch Friedrichshain, auf der Suche nach einer Kneipe, die eigentlich nett war, aber wohl nur im betrunkenen Zustand auffindbar. Auf dem weg dahin, erzählten wir uns gegenseitig unsere Schrullen, die schrägsten Angewohnheiten. Wir waren so ungefähr gleichauf, möchte ich mal sagen.

Er hörte mongolische Kehlkopfsänger und hatte auf youtube eine schöne Reportage über Rocker gefunden, die er regelmäßig sah. Ich schaute zum einschlafen entweder Predigten von Salafisten oder Dokumentationen über Ulrike Meinhof. Wir waren uns einig, wir waren da auf Augenhöhe.

Auf dem Weg durch die Straßen lachten wir, redeten gleichzeitig und viel zu schnell. Wir rannen von einem Thema zum nächsten und lachten und stolperten und verliefen uns. Aber es war egal.

Endlich angekommen standen wir vor dem Eingang und es machte sich für einen Moment eine sonderbare Stille breit. Endlich sagte Accra:

Na dann! 

Na dann! 

Antwortete ich und auf dem Weg in die Kneipe legte er mir die Hand auf die Schulter... Na dann... 

Ein paar Bier später fanden wir uns in durchgesessenen Kinositzen wieder, redeten noch immer wirr und merkten, dass wir so unterschiedlich gar nicht waren. Accra hatte Literaturwissenschaft studiert und alleine das machte ihn grandios. Danach noch etwas anderes.. Was mit IT oder so. Er hatte einen Humor, der sowohl Grenzwertig, als auch clever war. Er kannte natürlich meine liebsten Bücher und wir waren uns einig: von Büchern kann man niemals genug haben!

Ich bemerke gerade, ich habe ihn noch nicht beschrieben!!! Das war nämlich noch so eine Sache: ich fand ihn ziemlich gut. Accra hatte hellblondes Haar. Er sah so aus, als müsste er bald zum Friseur, trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen, dass eine "gerade vom Friseur"-Frisur bei ihm wirklich gut wäre. Er war kein strich in der Landschaft und kein Quadrat. Er kam aus Wilhelmshaven und das hörte ich.. Er schien teilweise sehr organisiert und gleichzeitig herrlich wirr. Alles war stimmig. Leider hatte er keine Brille, aber der leichte rötliche Stich in seinem blond machte alles wett.

Da saßen wir und überlegten und lachten und dann nahm er meine Hand.
Geht schnell, dachte ich. Es war mir nicht unrecht. Meine Frisur sah desolat aus. Meine Haut war zwar verhältnismäßig gut, aber das war nur eine Frage der Zeit. 
Ich hatte mich in meine Fett-weg-Hemden gezwängt und ansonsten einfach ein tshirt aus dem Schrank gerissen. Leider war es in der Kneipe recht warm und ich gemerkte, wie ich und meine formende Wäsche langsam zu zerfließen begannen. Hot-yoga kann kaum schlimmer sein, dachte ich nur. 

Und ganz auf einmal im reden, irgendwo zwischen mongolischen Kehlkopfsängern und den top 5 unserer Bücher, küsste mich Accra. 

Was das angeht, so lieferte er weitestgehend eine solide Leistung ab. Ich fing nicht an, zu schweben, aber ich wollte auch nicht wegrennen.

Der Abend endete um vier an der Straßenbahnhaltestelle. Ob ich mitkommen wolle, fragte er, stellte dann jedoch fest, dass er die Antwort wisse.. Natürlich würde ich nicht mitkommen. Da hatte er recht. Der Grund war nicht, dass ich es nicht wollte, sondern, dass ich einfach warten wollte und überlegen. Dazu sollte ich Gelegenheit bekommen. 

Ein letzter kuss an der Haltestelle und danach folgte.. Stille. Drei Tage. 

Auch wenn wir so viel geredet hatten, seinen Namen wusste ich nicht. Nicht mal seine Nummer hatte ich. Er war quasi weg.

Krone richten! Weitermachen! Sagte Rico nur. 

Also machte ich weiter.. Ich schrieb ihm kurz eine mail, dass es ein schöner Abend war, aber küssen für mich immer mehr sei, als mal kurz auf den "i like" Knopf zu drücken. Allerdings wäre die Nachricht angekommen. 

Seine Antwort war sehr verwirrend, irgendwas zwischen, er würde nie Signale senden und "was machst du heute abend?". Genau an diesem Abend konnte ich nicht und ich wollte auch nicht springen, wenn es ihm grad gefiel.

Wie auf Knopfdruck war es anstrengend und wie auf Knopfdruck hatte sich mein Interesse in Luft aufgelöst. 

Eine Woche später holte er mich in Lichtenberg von der SBahn ab. Vier schwere Einkaufstüten hatte er mit und sagte nur gleichmütig:

Zucker war so billig! Und Haferflocken! Hast du gewusst, wie preiswert Zucker ist?

Ich konnte kaum antworten, denn ich hatte angeboten, auch zu tragen. Es war die Hölle.

Um das zwischenzeitlich hier mal festzustellen: ich wusste schon nach den drei Tagen Funkstille, dass es zu nichts führen würde. Ein paar Tage und Emails später war ich jedoch zu dem Schluss gekommen, dass es aktuell keinen Magic Lars gab, quasi überhaupt keine verlässliche Affäre. Da dieses Problem nach einer Lösung schrie, musste Abhilfe geschaffen werden.

Bei ihm angekommen fühlte ich mich komplett erschossen vom Geschleppe, der Typ musste denken, dass ich quasi immer nur am schwitzen war. Super. Welche Frau wünscht sich das nicht?

Er wohnte in achten Stock und der Ausblick war atemberaubend. Die Wohnung war nett. Accra hingegen war unsicher, wie ein kleiner Schuljunge.

Wir hörten platten der Kehlkopfsänger und mir wurden Mitbringsel von seinen Reisen nach Ghana und China gezeigt. Es war interessant. Viel interessanter war jedoch, dass Accra mein Gleichmut so sehr verunsicherte, dass er quasi nicht mehr aufhörte zu reden. Er kam mir nicht älter vor und ich merkte, wie er versuchte, mir zu imponieren. 

Irgendwann, so zwischen dem fabelhaften Ausblick und einem Glas Kirschschorle, küsste er mich. Wenigstens hatte die Schlepperei und der weite weg sich gelohnt. 

Alles was danach kam, hat den weg übrigens nicht gelohnt. Ich spare mir an dieser Stelle Einzelheiten. Es war bedauerlich. 

Ich zieh mich langsam mal an. Sagte ich gegen drei in der früh.

Nein! Bleib noch ein wenig. Sagte er verschlafen und so blieb ich noch ein wenig. Nicht lange, aber schlaf konnte nicht schaden.

Oh Gott! OH GOTT! Schrie ich auf einmal, aus dem schlaf hochfahrend und saß kerzengerade im Bett!

Was? Erschrak er sich.

Ich orientierte mich kurz und wusste augenblicklich, weshalb ich so geschrien hatte. Der Mann hatte so laut geschnarcht, dass es mich aus dem schlaf gerissen hatte.

Was denn? Wiederholte er seine Frage.

Ich überlegte und hörte mich einfach nur sagen: was ist die Hauptstadt von Ghana?

Accra!

Ahja! Sagte ich, drehte mich um und schlief weiter.

Ein paar Stunden später war es aber endgültig Zeit zu gehen. 

Bleib noch! Bitte! Murmelte er und rappelte sich hoch.

Ich muss los. Hab nen Termin! So schnell hatte ich mich lange nicht angezogen. 

Als ich draußen war, hatte ich jedoch ein Problem, ein gewaltiges sogar.
Wo zur Hölle wär ich hier? Und wichtiger: wie kam ich wieder weg?

Es brauchte ein wenig und mehrere verzweifelte sms an meinen guten Freund Matteo, bis ich in der richtigen SBahn saß. 

Matteo war furchtbar wütend geworden, als er hörte, was für eine dürftige Leistung Accra abgeliefert hatte. Dann beruhigte er mich, als ich kurzzeitig dachte, ich sei in Osten verloren gegangen. Ohne ihn würde ich vielleicht noch immer zwischen Plattenbauten stehen und den Weg suchen.

Doch es fand sich bekanntlich ein Weg. 

Endlich nach Hause! Ich war beruhigt. Ich war übermüdet. Ich war von der Idee befreit, dort in Lichtenberg eine potentielle Affäre zu finden. Da könnten wir noch so viele Bücher gemeinsam gelesen haben. 

Accra schrieb noch ein paarmal. Was ich so mache. Wann ich zeit habe. Es sei so nett gewesen.

Mir war die Lust vergangen. Und weg war ich.







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